Kompetenzen in der Arbeitswelt 4.0
Der Begriff der Kompetenzen gewinnt in der Arbeitswelt 4.0 eine immer größere Bedeutung: Wir stehen mit der Digitalisierung einem tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft, Technologien, Innovationen…
In meinem ersten Blogbeitrag habe ich über die Kompetenzen in der Arbeitswelt 4.0 geschrieben – speziell über die Kompetenzen aus privaten Lernorten und die Übertragung auf den Arbeitsplatz. Auch habe ich in den unterschiedlichen sozialen Medien sowie in der realen – live und in Farbe – Welt mit den unterschiedlichsten Akteuren über die Kompetenzen aus privaten Lernorten gesprochen, diskutiert, gefachsimpelt. Dabei kam schnell der Wunsch nach konkreten Zahlen oder Beispielen, um das Ganze greifbarer zu machen, zu verstehen und auch umzusetzen.
Im Folgenden möchte ich Euch kurz ein paar Zahlen aus einer Studie vorstellen, um die Wichtigkeit von Kompetenzen aus privaten Lernorten aufzuzeigen. Im Anschluss gebe ich Euch – ganz konkret – zwei Beispiele, wie informelle Kompetenzen aus privaten Lernorten erlernt und am Arbeitsplatz eingebracht werden können.
Joachim E. Lask und Dr. Nina M. Junker untersuchen an der Goethe-Universität Frankfurt die Elternkompetenzen. In ihrer Studie „Elternkompetenzen & Arbeit“ konnten sie aufzeigen, dass erwerbstätige Eltern mit oder ohne Führungsverantwortung überfachliche Kompetenzen (weiter-)entwickeln und diese auch auf den Arbeitsplatz übertragen können – wenn diese erkannt und wirksam gemacht werden können.
Die o. g. Zahlen aus der Studie zeigen, dass Mitarbeiter/-innen Kompetenzen in ihrem privaten Lernort Familie erwerben, die sie zu besseren Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte machen. Und auch wenn hier „nur“ die Familie – die Elternschaft – näher betrachtet wird, können wir davon ausgehen, dass dieses auch für die anderen privaten Lernorte, wie z. B. der Pflege von Angehörigen, Ehrenamt, Sport oder Vereinstätigkeit gilt. Die Studie zeigt aber auch, dass die Kompetenzen aus privaten Lernorten von Führungskräften nur unzureichend erkannt und von den Mitarbeiter/-innen kommuniziert werden. So können ca. 50% der Befragten ihre informell erworbenen Kompetenzen nicht in den Arbeitsalltag integrieren!
Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) bildet Interessierte zu DIE-zertifizierten ProfilPASS-Berater/-innen aus. Die ProfilPASS-Beratung hat dabei zum Ziel, Kompetenzen aus der individuellen Biografie einer Person zu ermitteln und zu dokumentieren. Diese Dokumentation bietet somit die Möglichkeit, ein „hübsches“ anerkanntes Zertifikat zu erhalten, sofern man das möchte, da ansonsten die o. g. Kompetenzen eben nicht zertifiziert werden.
Ich muss gestehen, ich schätze Zahlen, um meine Argumentationen zu festigen, jedoch schätze ich um ein vielfaches mehr die Praxis. Und zwar die konkrete Praxis, also ohne „man könnte, sollte, müsste“, sondern mit „Butter bei die Fische“:
Ich möchte Euch zwei Beispiele für den Erwerb von Kompetenzen aus einem privaten Lernort und die Übertragung auf den Arbeitsplatz aufzeigen: Aus dem Lernort „Pflege von Angehörigen“ und anschließend meine eigene Entwicklung am Lernort „Familie“.
Anita ist Kundenberaterin in einem Unternehmen. Ihre Aufgabe ist es, die Kunden zu betreuen, ihre Anliegen zu bearbeiten, eine Kundenbindung aufzubauen und zu festigen und neue Kunden zu akquirieren.
Privat pflegt Anita ihren Vater seit über 20 sowie ihre demenziell erkrankte Mutter seit über 8 Jahren. Sie hat zwei Kinder, die in die Oberstufe gehen. Eines dieser Kinder benötigt aufgrund einer angeborenen Erkrankung eine größere Aufmerksamkeit.
Anita sieht ihre familiären Aufgaben als Selbstverständlichkeit und nichts Besonderes an. Sie sagt: „Jeder kann das!“ In einem gemeinsamen Seminar machte sie die Erfahrung, dass andere Mitarbeiter/-innen ihre Leistungen überhaupt nicht als selbstverständlich ansahen. Auch brachten sie zum Ausdruck, dass ihre privaten Leistungen für ihre Familie sehr wertvoll und bewundernswert und „buckelhart“ sind. Da fing Anita an zu überlegen und zu reflektieren. Sie ermittelte, dass sie ein hohes Durchhaltevermögen besitzt, dabei stets gelassen bleibt und Sachverhalte immer wieder neu erklären kann, ohne genervt zu sein. Sie ist ein Fels in der Brandung.
In einem anschließendem Gespräch mit ihrer Führungskraft übertrug diese ihr die Aufgabe, „besonders schwierige“ Kunden zu betreuen, die andere Kundenberater/-innen zur Verzweiflung brachten. Diese Kunden waren beispielsweise cholerisch, besserwisserisch oder stammten aus anderen Ländern und waren daher der deutschen Sprache noch nicht so mächtig. Anita übernahm die Betreuung dieser Kunden von ihren Kolleg/-innen und bekam dafür Unterstützung in der Abarbeitung einfacher Tätigkeiten, die zu ihren „normalen“ Kundenstamm gehörten und die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten je nach Betreuungssituation flexibel zu gestalten.
Auflösung gefällig? Anita rockt. Sie ist es gewohnt, mit verbaler Aggressivität umzugehen, sie bleibt gelassen und beantwortet die Fragen der Kunden immer wieder neu. Win-Win.
In meinem Job als Personalreferentin wird – insbesondere hinsichtlich der Arbeitswelt 4.0 – vorausgesetzt, dass ich mich vernetze, austausche, Wissen transferiere und stets eigenmächtig dazu lerne. Wenn man die Elternschaft aus der Perspektive einer Personalreferentin betrachtet, erfüllt diese somit alle Voraussetzungen. Ohne das Eltern es merken, vernetzen sie sich, eignen sich in rasender Geschwindigkeit Wissen an, probieren immer wieder Neues aus und geben Wissen gerne weiter.
Ich bin seit über acht Jahren Mutter einer wunderbaren Tochter und seit über vier Jahren eines tollen Sohnes. Und gleichzeitig bin ich seit 10,5 Jahren Personalreferentin mit voller Leidenschaft. Ich liebe es, die unterschiedlichsten Rollen in meinem Job einzunehmen: Die der Personalreferentin, der Leiterin eines digitalen Projektes und eines eigenen Fachkreises. Alle unterschiedlichen Rollen und ihre Tätigkeiten werden von mir organisiert, strukturiert, gemanagt und bearbeitet. Ich liebe es dabei, innovativ und kreativ zu denken und handeln, mich immer wieder neuen sowie komplexen Thematiken anzunehmen und in Einzelteile zu zerlegen und mir dabei neues Wissen anzueignen. Um all das erfolgreich zu erfüllen, tausche ich mich mit meinem Netzwerk liebend gerne aus.
Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich ein/-e Personalreferent/-in gut vernetzt. Die Arbeitswelt verändert sich rasend schnell. Die Digitalisierung und der Arbeitswelt 4.0 verändern die Erwartungen von und die Anforderungen an Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte und deren Arbeitsweisen, Methoden und ggf. Haltung/Mindset. Das Ganze passiert so unglaublich schnell, dass es hier erforderlich ist, sich zu vernetzen und auszutauschen, von anderen zu lernen, Gelerntes zu transferieren und umzusetzen, ggf. zu scheitern und es nochmal neu und anders zu versuchen, dabei eigenes Wissen weiterzugeben, neue Sichtweisen zu öffnen und wieder Neues zu einfließen zu lassen.
Als Elternteil macht man nichts anderes. Das Baby wird geboren. Total schön, aber irgendwie fehlt die Gebrauchsanleitung. Oje, es schreit. Hunger? Windel voll? Schmerzen? Müde? Keine Ahnung! Ca. ein paar Wochen später: Baby schreit? Ahhh, der ist nur langweilig! Woher ich das wusste? Ich habe gelernt, die unterschiedlichen Arte der Schreie zu interpretieren, bin dabei einige male gescheitert, habe weiter gelernt und mich perfektioniert. Dann kam das wunderbare Thema „3-Monats-Kolik“. Ich habe mir ein Netzwerk anderer Mütter und Väter aufgebaut. Da wurde mir dann die unterschiedlichsten Maßnahmen vorgeschlagen: Kügelchen, Fliegergriff, Radfahrbewegungen der Beine, Wärmflasche u. v. m. Ich probierte aus: Kügelchen wurden schnell verworfen, haben überhaupt nichts gebracht, Wärmflasche auch nicht, aber das mit der Radfahrbewegung war genial. Später dann Kindergeburtstag feiern. Was macht man da mit einer 4-jährigen? Alle gefragt und wieder das Passende für uns herausgesucht. Auf dem Spielplatz waren wir eine Clique von Müttern und Vätern, es wurde ausgetauscht, angewendet, gescheitert und nochmals anders probiert.
Fazit: Eltern sind verdammt gute Netzwerker und lernen unglaublich schnell und diese Kompetenzen können sie auch am Arbeitsplatz einsetzen, wenn man sie denn lässt!
All meine Aufgaben aus meinen unterschiedlichen Rollen bei der Arbeit und Zuhause sind zeitintensiv und benötigen eine gute Organisation, da sonst schnell Dinge übersehen und nicht bearbeitet werden, Fristen nicht eingehalten werden oder sonstige Fehler passieren. Immer wieder verändern sich Gegebenheiten und benötigen ein Umdenken, ein anderes Vorgehen oder eine andere Methode, politische Erwartungen treten neu oder verändert auf oder Ziele ändern sich sogar ganz.
Ich organisiere täglich meine Aufgaben. Mal nach Dringlich- und Wichtigkeit, mal nach „das muss nun endlich mal weg“, mal nach Ereignis und erwarteter Reaktion, nach festgelegten Meilensteinen u. s. w.
Als Mutter zweier Kinder kann ich darüber nur süffisant grinsen. Mein Arbeitstag beginnt nicht um halb acht, sondern viel früher. Gemeinsam mit dem wunderbaren Vater unserer beiden Kindern meistern wir unseren Alltag Zuhause. Unser Motto des Tages: „Wir machen erstmal einen Plan!“ Dann: Wir machen das Frühstück, bereiten das 2. Frühstück für die Schule vor, helfen den Kindern beim anziehen, Zähne putzen und Haare kämmen. Wir kontrollieren Hausaufgaben nach, beruhigen unsere Tochter nach einen Tobsuchtsanfall, weil sie einen (!) Fehler in Mathe hatte, klären das Nachmittagsprogramm, schreiben „to-Do-Zettel“ für die Mittagspause (Versicherung anrufen, Zahnarzttermin ausmachen, Geschenk für Freundin zur Geburtstagsparty einkaufen), ziehen nach einer Joghurtpanne den Sohn nochmal um, schmeißen die Waschmaschine an, räumen im Schnellgalopp noch den Tisch auf, klären das Hin- und Wegbringen (je nach Wetterlage), erfahren in letzer Minuten per Zufall, dass heute Osterkörbchenbasteln im Kindergarten ist, schmeißen gedanklich also die Nachmittagstermine um und so weiter. All das in ca. 30 Minuten von insg. 24 Stunden. Noch Fragen, warum Eltern organisationsfähig und flexibel sind? Ehrlich jetzt?
Fazit: Eltern sind unglaublich organisationsfähig und flexibel. Diese Kompetenzen schalten sie am Arbeitsplatz nicht ab – nutzt es!
In meiner täglichen Arbeit treten immer wieder Probleme unterschiedlichster Art und Weise auf. Mal können Vereinbarungen nicht eingehalten werden, man bekommt keine Rückmeldungen, eine tolle Idee wurde nicht angenommen, eine andere nicht wie gewünscht unterstützt, mal wurde jemand persönlich übersehen oder hat private Probleme, mal streitet man sich mit seinen Führungskräften oder anderen Fachbereichen.
Für alle Probleme müssen Lösungen her – ob nun von mir initiiert oder gemeinsam – stets empathisch und mit Emotionen. Und ja, das sage ich ausdrücklich! Emotionen machen uns aus und sollen auch im Berufsleben gezeigt werden dürfen!
Als Mutter zweier Kinder kümmere ich mich um meine Kinder und löse Probleme im Minutentakt. Ich kümmere mich um meine Tochter, wenn sie traurig ist, weil Mädchen A gesagt hätte – und das weiß sie von Mädchen B, die ja auch eine Freundin von Mädchen A ist – das Mädchen C meinte, dass Junge A herumposaunt, dass… verwirrt? Ich sagte nicht, dass es einfach wäre! Ich kümmer mich um meinen Sohn, der bei Edeka an der Wursttheke verkündet, dass er „Kacka“ müsse und organisiere schnell eine Verkäuferin, die mir die nächste Toilette zeigen kann, um dann wieder an der Wursttheke angekommen ein Stück Lyoner für ihn zu erhalten. Ich löse das Problem, dass meine Tochter Bauchschmerzen hat, mein Sohn die verschiedenen Farben der Knete alle vermischt, was zu Unmut bei der älteren Schwester führt, ich setze neue Batterien in das Auto ein, dass nicht mehr fuhr, finde Eselsbrücken, um sich das Gedicht für die Schule zu merken, kümmere mich um die lockigen Haare meiner Tochter, die nie so wollen, wie wir. Und das alles sind tatsächlich nur die einfachen Probleme unserer Familie. Sie sind noch keine Teenager!
Fazit: Als Elternteil löst man Probleme schnell und zielorientiert und kümmert sich um seine Kinder – genau wie um die (eigenen) Mitarbeiter/-innen im Unternehmen.
Wir alle lernen in unseren unterschiedlichen privaten Lernorten. Wir eignen uns Kompetenzen neu an oder entwickeln diese dort weiter. Auf Twitter habe ich meine tolle Timeline gefragt, was sie sich aus ihrem privaten Lernort mitgenommen haben.
"Schnell einen Plan B entwickeln können, wenn was nicht klappt. Und durchhalten, auch wenn man denkt es geht nicht mehr".
Mona Markmann, Mutter Tweet
"Es gibt immer jemanden, der es schon kann und weiß! So wurde ich zur Netzwerkerin, entwickelte eine Antenne, die Menschen und deren Talent für unterschiedliche Fragen aufspürt, immer mit Gesprür für Win-Win im Netzwerk und für den Ausbau desselben - heute übertrage ich die in die berufliche Arbeit."
Martina Koch, Mutter zweier erwachsender Kinder, ehrenamtliche Tätigkeit als 2. Vorsitzende des BPW Saarbrücken Tweet
"In meinem Chor habe ich gelernt, was es heißt, als echte Einheit aufzutreten und trotzdem seinen eigenen Beitrag zum Erfolg zu leisten. Meine Jungs lehren mich, dass meine Ungeduld und mein Perfektionismus nicht helfen und "Vorbild und Liebe" deutlich hilfreicher sind".
Katharina Lutermann Tweet
"Kommunikation ist entscheidend, auch non-verbale Signale wahrnehmen; ich darf und muss meine Bedürfnisse und Grenzen achten; Wollen und Können sind nicht immer deckungsgleich - bei anderen wie bei mir; im Grunde dreht sich alles um gelingende Beziehungen. Außerdem die Konzentration auf das Hier-und-Jetzt, den Umgang mit Unvorhersehbaren, die kurze Halbwertzeit von Plänen, die die individuelle Entwicklung betreffen".
Birgit Schliche Tweet
Der Begriff der Kompetenzen gewinnt in der Arbeitswelt 4.0 eine immer größere Bedeutung: Wir stehen mit der Digitalisierung einem tiefgreifenden Wandel in der Gesellschaft, Technologien, Innovationen…
Wie werden Kompetenzen im Unternehmen sichtbar(er) und was können Unternehmen hierfür tun? ➔ Diese Experten teilen ihre Meinung!